ANOREXIA NERVOSA
Anorexia Nervosa (Anorexie oder Magersucht)
Was ist Magersucht?
Der von Magersucht Betroffene unterscheidet sich in seinem Erscheinungsbild von anderen Menschen. Meist fällt er auf – und zwar deshalb, weil er wesentlich dünner ist als alle anderen. Er ist dünner als Personen in seinem Alter, er kann aber auch dünner sein als Menschen, die selbst viel jünger sind als er. Das Erscheinungsbild von magersüchtigen Menschen ist also meist auffällig, weil der Betroffene im Vergleich zu anderen gleicher Größe und gleichen Alters viel dünner ist. Extremes Untergewicht kann im schlimmsten Falle lebensbedrohliche Folgen haben.
Um peinlichen Fragen nach seinem Äußeren aus dem Weg zu gehen, versucht der Magersüchtige häufig von seiner Figur abzulenken, indem er Kleidung in großen Größen trägt. Angehörige haben häufig das Gefühl, überhaupt nicht an den Betroffenen heranzukommen. Für Personen im nahen Umfeld ist es oft schmerzhaft, die Erkrankung des Betroffenen mitzuerleben und zu ertragen. Denn es ist ein harter Kampf, ihn dazu zu bewegen, Hilfe und Unterstützung anzunehmen. Erschwert wird dies auch noch dadurch, dass der Betroffene mit dem Fortschreiten der Krankheit immer mehr den Kontakt zu seiner eigenen Gefühlswelt verliert. Als Angehöriger oder Freund steht man machtlos daneben und hat das Gefühl, nichts tun zu können. Dennoch ist es sehr wichtig, immer wieder zu versuchen, mit dem Betroffenen über seine Krankheit zu sprechen. Vielleicht wird es doch eines Tages dazu führen, dass er seine Essstörung anerkennt und bereit ist, Hilfe anzunehmen.
Im Folgenden werden nun einige typische Verhaltensweisen genannt, die bei dem Betroffenen auftreten können:
- Zu Beginn der Magersucht nimmt er nur noch sehr kalorienarme Nahrungsmittel und Getränke zu sich. Dies führt zu einer sehr einseitigen Ernährung.
- Er isst auffallend langsam, immer wieder auch extrem heiß oder kalt.
- In Gesellschaft täuscht er vor zu essen: Entweder spuckt er es später wieder aus oder erbricht nach der Mahlzeit heimlich.
- Häufig kann er sehr gut kochen und backen, verbringt viel Zeit damit, Speisen für andere zuzubereiten (er selbst isst aber nichts davon).
- Zum fortgeschrittenen Zeitpunkt der Erkrankung isst er gar nicht mehr vor oder gemeinsam mit anderen Personen, er behauptet dann immer, er habe gerade erst gegessen.
- Er treibt übermäßig, fast zwanghaft viel Sport.
- Wenn möglich, erledigt er Aufgaben im Stehen (mit dem Hintergedanken, dadurch noch mehr Kalorien zu verbrennen).
- Er wiegt sich mehrmals täglich und fühlt sich immer zu dick.
- Er verliert zunehmend den Kontakt zum eigenen Körper und zu dessen Bedürfnissen.
- Er erlebt seinen Körper als Feind und „bekämpft“ ihn.
- Sein Kopf kontrolliert und steuert sein Verhalten, die Kontrolle vermittelt ihm das Gefühl, eigenständig zu sein.
- Er lehnt jegliche Dinge ab, die Freude oder Lust bereiten könnten, er zeigt eine genügsame und einfache Lebensweise.
- Er zieht sich mehr und mehr aus seinem Umfeld zurück.
- Es gibt für ihn nur „schwarz oder weiß“.
- Er neigt zu depressiven Verstimmungen.
- Manchmal zeigt er eine übertriebene Sparsamkeit (Geiz) und einen extremen Reinlichkeitssinn (dies kann sich bis hin zur Zwangsstörung entwickeln).
- Er weigert sich meist über sehr lange Zeit, die eigene Krankheit anzuerkennen.
Diagnosekriterien
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in ihrer ICD-10 bestimmte Kriterien für eine Anorexia nervosa festgelegt. Wenn die folgenden Merkmale auf den Betroffenen zutreffen, spricht man von der Erkrankung an Magersucht:
- Das tatsächliche Körpergewicht liegt mindestens 15% unter dem für Alter und Körpergröße angemessenen Gewicht oder der Body-Mass-Index (BMI) ist niedriger als 17,5 (bei Erwachsenen).
- Der Gewichtsverlust ist durch Vermeidung von kalorienreicher Nahrung selbst herbeigeführt. Zusätzlich ist mindestens eine der folgenden Möglichkeiten gegeben:
- selbst herbeigeführtes Erbrechen
- selbst herbeigeführtes Abführen
- übertriebene körperliche Aktivität (Sport)
- Gebrauch von Appetitzüglern und Entwässerungstabletten.
- Eine so genannte Körperschemastörung liegt vor: Das heißt, dass der Betroffene sich selbst nicht so sieht, wie andere ihn wahrnehmen. Er fühlt sich auch mit starkem Untergewicht noch viel zu dick.
- Bei Mädchen und Frauen bleibt die Menstruation dauerhaft aus (Amenorrhoe).
- Wenn die Erkrankung vor der Pubertät beginnt, kann es zu einer verzögerten oder ausbleibenden pubertären Entwicklung kommen.
Neben den Kriterien der ICD-10 gibt es auch noch die der amerikanischen psychiatrischen Vereinigung. Im so genannten DSM-IV wird die Krankheit Magersucht noch einmal in zwei Formen unterteilt:
- Der „Restriktive Typus“: Der Betroffene verzichtet fast vollständig auf Nahrung. Er hungert bis zu einem extrem gefährlichen Untergewicht.
- Der „Purging Typus“ (to purge = entschlacken): Der Betroffene hungert überwiegend. Es kommt aber hin und wieder zu Essanfällen. Durch anschließendes selbst herbeigeführtes Erbrechen, Einnehmen von Abführmitteln oder Entwässerungstabletten wird eine Gewichtszunahme verhindert.
Körperliche Folgeschäden
Wenn der Betroffene längere Zeit hungert und das Körpergewicht dauerhaft weit unter dem Normalgewicht bleibt, kann es dazu kommen, dass der Stoffwechsel, der Puls, der Blutdruck sowie die Körpertemperatur absinken.
Das führt dann dazu, dass der Betroffene dauernd müde ist und sich kraftlos fühlt, er friert so gut wie immer und leidet zudem unter Verstopfung. Eine viel zu trockene Haut und brüchige Haare weisen darauf hin, dass der Hormonhaushalt im Körper gestört ist. Infolgedessen bleibt bei Mädchen und Frauen häufig die Menstruation aus (Amenorrhoe).
Im Extremfall kommt es zu einer Veränderung der Körperbehaarung: Es entsteht der so genannte „Lanugo“, eine flaumartige Behaarung vor allem an Armen, Rücken und im Gesicht, die den Körper vor Kälte schützen soll.
Wenn die Magersucht mehrere Jahre andauert, kann es zur so genannten Osteoporose kommen, bei der sich die Knochendichte verringert. Dies hat zur Folge, dass die Knochen viel leichter brechen können.
Bis zu 15 % der Betroffenen sterben an der Magersucht. So kann es entweder durch körperliche Komplikationen, wie plötzlichem Herztod oder einer Infektion, zum Tod kommen. Häufig führen Betroffene aber auch Suizid (Selbstmord) aus, weil die psychische Belastung für sie nicht mehr auszuhalten ist.
Ein Teil der Betroffenen, die wieder völlig gesund werden, leiden auch viele Jahre später noch an den körperlichen Begleiterkrankungen wie Osteoporose (siehe oben) oder Niereninsuffizienz (Nierenschwäche). Meist müssen sie lernen, damit für den Rest ihres Daseins zu leben.
Seelische Folgen
Die Gedanken kreisen ständig und immer um die Figur. Es besteht eine panische Angst vor einer Gewichtszunahme. Auch vergleicht sich der Betroffene häufig mit anderen.
Oftmals ist er sehr perfektionistisch veranlagt, was das Ganze noch erschwert. Der Betroffene sieht oft erst in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium ein, dass er Hilfe braucht. Es besteht meist auch ein sehr stark ausgeprägtes Kontrollbedürfnis. Schuldgefühle treten auf, wenn ihm etwas schmeckt, da er sich das verboten hat - Genuss ist nicht erlaubt. Eigenen Bedürfnissen wird kein Raum gelassen.
Ein ausgeprägter Selbsthass, die Abwertung der eigenen Person und auch zwanghaftes Verhalten (wie zum Beispiel Waschen oder Putzen) gehören oft zum Alltag des Betroffenen. Sind depressive Verstimmungen vorhanden, ist es nicht selten, dass gleichzeitig auch ein selbstverletzendes Verhalten gezeigt wird. Der Betroffene zieht sich dann immer mehr aus seinem sozialen Umfeld zurück, indem er sich von seinen Freunden und der eigenen Familie distanziert.
Welche Hilfsangebote gibt es?
Die Behandlung einer Magersucht umfasst neben einer Stabilisierung des Essverhaltens in der Regel auch immer eine psychotherapeutische Behandlung.
Bei extremem Untergewicht ist zuerst allerdings eine stationäre Behandlung notwendig. Dort wird der Betroffene durch einen venösen Zugang künstlich ernährt. So bekommt der ausgemergelte Körper alle für ihn dringend notwendigen Nährstoffe. Diese Zwangsmaßnahme ist überlebenswichtig. Im Anschluss sollte dann eine weiterführende psychotherapeutische Behandlung beginnen, da es ansonsten schnell wieder bergab gehen kann.
Heute wird oftmals eine systemisch-familientherapeutische Behandlung empfohlen: Der Betroffene wird in dieser Behandlungsform als der so genannte „Symptomträger“ der Familie betrachtet – das heißt, er ist nicht allein behandlungsbedürftig, sondern die gesamte Familie. Die Ausdrucksformen und Regeln innerhalb der Familie werden im Rahmen der Behandlung so verändert, dass Probleme und bestehende Konflikte direkt angesprochen werden können.
So ist ein „Symptom“ (in dem Falle ist es die Magersucht) nicht mehr nötig. Nicht der Betroffene allein muss lernen, sein Verhalten zu ändern, sondern vielmehr sollte das Zusammenleben innerhalb der Familie neu gestaltet werden. Daneben werden psychoanalytische Behandlungsansätze angewandt.
Diese sollen innere Konflikte, die womöglich zur Entstehung der Essstörung beigetragen haben, bewusst machen. Dadurch wird eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit ermöglicht. Oftmals kommt es dann bereits zu einer positiven Veränderung des Essverhaltens und auch zu einer Gewichtszunahme, ohne dass innerhalb der Therapie überhaupt die Themen Essen und Figur angesprochen wurden.
Verhaltenstherapeutische Maßnahmen werden zusätzlich mit einbezogen, um die verzerrte Körperwahrnehmung des Betroffenen positiv zu verändern. Ziel dabei ist es, dass er sich letztlich mit einer realistischen Wahrnehmung im Spiegel betrachten kann. Daneben ist es für die Genesung von großer Bedeutung, eine gesunde Einstellung zu Nahrungsmitteln und dem eigenen Essverhalten zu entwickeln, d.h. der Betroffene muss neu erlernen, Essen als Genuss zu empfinden. Dies kann oftmals ein sehr langwieriger therapeutischer Prozess sein.
Des Weiteren sollen dem Betroffenen Wege aufgezeigt werden, um mit bestehenden Konflikten besser umgehen zu können. Auch das Erlernen fehlender sozialer Kompetenzen kann ein wichtiger Baustein innerhalb der verhaltenstherapeutischen Behandlung sein.
Eine alleinige Behandlung mit Medikamenten hat hingegen bislang keine positiven Ergebnisse erzielen können.
Quellen:
- Psychische Erkrankungen
- Deine Situation
- Gefühlschaos
- Was du tun kannst
- Auch das noch
- Deine Rechte
- Infos zu psychischen Erkrankungen
- Was sind psychische Erkrankungen
- Wann ist jemand psychisch krank
- Warum wird jemand psychisch krank
- Wie viele sind noch betroffen
- Psychische Erkrankungen und ihre Symptome
- Wer hilft deinem Vater oder deiner Mutter
- Literatur
- Links